Wie übersteht man eine Haus- und Wohnraumsanierung mit einem gerade volljährig gewordenen,
autistischen Sohn?
Lange haben wir uns vor diesem unausweichlichen Moment gefürchtet: dem Eintreffen der
Sanierungsankündigung. Nun war sie da und wir mussten entscheiden, ob wir unsere große, helle
Wohnung, die uns jeden Abend einen gigantischen Sonnenuntergang bot, aufgeben oder ob wir
Chaos, Schmutz, Lärm und den mit einer solchen Maßnahme verbundenen Ärger aushalten wollen.
Unsere drei Kinder machten uns diese Entscheidung leicht, denn sie wollten vom ruhigen Stadtrand
nicht wegziehen.
Der eigentliche Baubeginn verzögerte sich aufgrund von Problemen bei der Auftragsvergabe um ein
ganzes Jahr, was sich als großes Glück für uns erwies, denn so hatten wir die unschätzbare
Möglichkeit, unseren autistischen Sohn Benjamin schrittweise auf diesen tiefen Einschnitt in sein
Leben vorzubereiten. Immer wieder mussten wir seine zahllosen Fragen zu den Baumaßnahmen
beantworten, wobei wir unzählige Details selber noch nicht kannten und somit Benjamin nur selten
befriedigende Antworten geben konnten.
Mehrere Monate vor Sanierungsbeginn informierten wir die Mieterbetreuerin unseres Vermieters
über die Behinderung unseres Sohnes. Wir stießen auf viel Verständnis und eine akzeptable Lösung
war schnell gefunden: Eines unserer Zimmer sollte später saniert werden, sodass sich Benjamin dort
an seinem geliebten Computer aufhalten könnte. Den Lärm würde unser Sohn nach seiner eigenen
Einschätzung aushalten, sofern niemand überraschend seinen Aufenthaltsraum betreten könnte.
Diese Lösung war ja einfacher als erwartet.
Eine Woche vor Beginn der Bauarbeiten in der Wohnung erfolgte die übliche Wohnungsbegehung.
Eine Mitarbeiterin des Vermieters erklärte uns kurz und knapp, dass sie über unseren Sohn
informiert sei, aber dass es nicht praktisch durchführbar sei, ein Zimmer später zu sanieren.
Stattdessen bot sie uns einen Umzug für drei Wochen an. Wie sollten wir denn innerhalb einer
Woche mit unserem autistischen Sohn umziehen? Benjamin wollte beziehungsweise konnte die
Wohnung auf keinen Fall verlassen, egal wie laut und dreckig es werden würde.
Nach unserer Weigerung umzuziehen, bekamen wir eine kleine 3-Raumwohnung ohne Wasser und
Strom zum Unterstellen unserer Möbel zugeteilt, welche wir uns mit einem älteren Ehepaar teilen
mussten, die eine genauso große Wohnung wie unsere fast leer räumen mussten. Sofort hatte ich
die Idee, Benjamin in dieser nur zwei Stockwerke über uns liegenden Wohnung unterzubringen,
musste dann aber erfahren, dass der Schlüssel zur Wohnung nach dem Einlagern der Möbel aus
Haftungsgründen beim Vermieter verbleiben würde.
An dieser Stelle war ich ratlos und niedergeschmettert. Wenig später erwachte mein Kampfgeist. Ich
ging zu dem älteren Ehepaar und erzählte ihnen unsere Geschichte. Niemand in unserem Haus
wusste bis dahin über den Autismus unseres Sohnes Bescheid. Ich stieß auf enorm viel Verständnis,
was äußerst wohltuend war in dieser angespannten Situation. Mit einer schriftlichen, gegenseitigen
Vertrauenserklärung erpressten wir den Wohnungsschlüssel vom Vermieter.
Beim Ausräumen der Wohnung teilten wir unserem Sohn die Rolle des Aufpassers zu, da er
aufgrund seiner durch seinen schwachen Muskeltonus bedingten mangelnden Ausdauer und seiner
ungeschickten Motorik zum Möbeltragen nicht wirklich geeignet war. Benjamins Schreibtisch und
sein Computer waren die letzten Dinge in der Wohnung, die abgebaut wurden, na ja, das allerletzte
war die Kaffeemaschine.
- Fortsetzung folgt -
Wohnungssanierung 1 - Zwischen Skylla und
Charybdis
© Inez Maus 2014–2024