Anguckallergie

Inez Maus
Blogbeitrag 1. April 2023
Gedanken zum Weltautismustag
© Inez Maus 2014–2024
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Dies ist ein Gastbeitrag von Jannis Benjamin Ihrig. Einen Nutzen haben – das ist eine Erwartung, der sich wohl jeder Mensch zu jeder Zeit an jedem Ort stellen musste. Es liegt auf der Hand: Nichts in dieser Welt wächst auf Bäumen und kann ohne Mühe erlangt werden. Selbst für einen Apfel muss man auf den Baum klettern. Ganz zu schweigen davon, dass ein Obstbaum, soll seine Krone zur Erntezeit reich beschwert sein, über die Jahre gehegt und gepflegt werden muss. Wer selbst nicht auf den Baum klettern kann, braucht jemand anderen, der es für einen tut. In diesem Fall ist man eine Last. Eine Last, die in schlechten Zeiten einfach abgeschüttelt wurde. In guten Zeiten wurde man zwar getragen, aber auch verwaltet. Man wird in seine eigene Nische abgeschoben, damit man für die Gesellschaft eine berechenbare Last ist. Eine vielleicht zynische, aber auch klare Beziehung zwischen dem Nützlichen und dem liebevollen Nutzlosen. Wenn man so schwer behindert ist, dass man sein ganzes Leben lang nicht für sich selbst sorgen kann, dann hat man sich immer noch mit einigem herumzuschlagen. Doch zumindest ist die Beziehung zum Rest der Gesellschaft klar. Anders sieht es aber für jene aus, die zwischen Nutzen und Nutzlosigkeit hängen: Die Behinderten, die in bestimmten Bereichen eingeschränkt sind, aber einen Nutzen haben könnten. Uns beäugt die Gesellschaft misstrauisch mit der Frage im Kopf, ob es der Mühe wert war, jenen Nutzen herauszugraben. Oder ob es letztendlich einfacher wäre, uns in die andere Gruppe zu tun und uns irgendwohin abzuschieben, wo man uns mit dem alljährlichen Almosen abspeist. Wenn man uns fördert, erwartet man von uns nicht das Durchschnittliche. Wir müssen übertreffen. Leisten wir das nicht, versagen wir auch nur einmal, dann sind wir zu behindert und der Mühe nicht wert. Können wir eine Aufgabe nicht erfüllen, dann sind wir die dummen Autisten, die nichts können, und nicht einfach Leute, die etwas nicht können. Wie der Rest der Menschheit. Verlieren wir die Nerven, dann sind wird die unbeherrschten Autisten, die ihre Gefühle nicht unter Kontrolle halten können. Wenn irgendein Wutbürger herumbrüllt, dann ist er nur ein besorgter Bürger, der sich freimachen muss. Und wenn wir nicht irgendetwas Phänomenales schaffen, dann sind wir nutzlose Autisten. Man gesteht uns nicht das Recht zu, durchschnittliche Männer und Frauen zu sein, die ihr ganzes Leben lang nichts Aufsehenerregendes schaffen, sondern einfach nur ihr Leben leben dürfen. Was ich geschrieben habe, mag für manche die nackte Wahrheit sein. Andere denken, dass ich zu schwarzmalerisch bin. Ich will keines von beiden in Abrede stellen, doch die Absicht hinter diesen Worten ist etwas anderes: Dies sind die Dämonen, die mich heimsuchen. Ob sie mir nun von der Gesellschaft eingetrichtert wurden oder von meinem Unterbewusstsein gesponnen wurden, kann ich nicht mit Sicherheit sagen und will dies auch hier nicht tun. Es geht mir vielmehr um eine Botschaft an alle, die sich beweisen müssen, nicht nur Autisten und andere Behinderte: Wenn du versagst, dann hast du nicht versagt, weil du behindert oder zu dumm bin. Du hast versagt, weil Versagen menschlich ist. Wenn du die Kontrolle über deine Gefühle verlierst, dann geschah es nicht, weil du ein defekter Mensch bist. Sondern es geschah, weil alle Menschen von ihren Emotionen getrieben werden. Und gräme dich nicht, weil du nichts Herausstehendes geleistet hast. Am Leben zu sein und sich mit ihm herumzuschlagen, ist eine Leistung für sich selbst.