Buchempfehlung „Falscher Planet“
© Inez Maus 2014–2024
Transparenz: Das Buch ist ein Geschenk des Autors
Im Alter von neun Jahren sagte Benjamin, mein autistischer Sohn, Folgendes zu mir: „Ich fühle mich wie ein
Außerirdischer, der in deinen Bauch gebeamt wurde. Kannst du das verstehen, Mami?“ Diese Aussage schien aus
dem Nichts zu kommen und erstaunte mich aus zweierlei Gründen. Zum einen erfreute mich der wohl formulierte
Satz, denn Benjamin war bis zu seinem sechsten Lebensjahr nahezu nonverbal, benutzte die gesprochene Sprache
also erst seit ungefähr drei Jahren. Zum anderen tat er diese Äußerung, bevor die Diagnose Autismus bei ihm sehr
spät gestellt wurde (obwohl es seit seinem zweiten Lebensjahr viele Auffälligkeiten gab, die genau in diese Richtung
deuteten).
Das Gefühl, sich auf dem falschen Planeten zu befinden, teilt mein autistischer Sohn mit vielen autistischen
Menschen. Sie sehen zwar aus wie andere Menschen, aber fühlen sich nie richtig verstanden von diesen anderen
Menschen und verstehen die anderen Menschen oft nicht. Dieses Empfinden transportiert auch die aus dem
englischen Sprachraum kommende Bezeichnung „Wrong Planet Syndrom“, womit autistische Menschen ihre
Schwierigkeiten beschreiben, die früher unter dem Asperger-Syndrom verstanden wurden.
Diesem Gefühl, auf dem falschen Planeten gestrandet zu sein, widmet sich jetzt ein Kinderbuch zum Thema
Autismus. Das Kinderbuch „Falscher Planet“ stammt von dem Autor Holger Nils Pohl und trägt den Untertitel „Wie
Autisten die Welt erleben“. Erschienen ist es im Neufeld Verlag – ein Verlag, der sich schwerpunktmäßig auch dem
Thema Behinderung widmet, weil solch „außergewöhnliche Menschen unser Leben bereichern“ (Website des Verlags)
und der bereits zum Thema Autismus das Kinderbuch „Mia – meine ganz besondere Freundin“ verlegt hat.
Holger Nils Pohl hat das Buch aus seiner eigenen Erfahrung als „Aspie“ geschrieben und die Verlagsangaben
verraten auch, dass er Vater von Kindern im Autismus-Spektrum ist. Das Hardcover-Buch wurde von Benjamin
Dammeier illustriert, umfasst 76 Seiten und wird ab einem Alter von fünf Jahren empfohlen.
In der Geschichte muss ein wandlungsfähiges Alien auf der Erde notlanden. Es trifft verschiedene Tiere und passt sich
diesen seinen Möglichkeiten entsprechend an, aber ein Miteinander scheitert trotzdem an Missverständnissen, die
meist in der Sprache oder in ungeschriebenen Regeln begründet sind. Dies ändert sich, als das Alien auf ein
Schnabeltier trifft …
Die Geschichte erklärt auf sehr anschauliche Weise, was Masking (Maskieren, das Nachahmen der Verhaltensweisen
nicht-autistischer Menschen) ist, warum es viel Energie kostet und wieso es nicht immer den gewünschten Erfolg hat.
Die Akteure der Geschichte sind Tiere, sodass das Buch sicherlich nicht nur für nicht-autistische Kinder Erklärungen
zum Thema Autismus zu liefern vermag, sondern auch jüngeren autistischen Kindern ihre Schwierigkeiten zu erklären
vermag.
Im Anhang befinden sich kindgerechte Erklärungen zu verschiedenen Aspekten von Autismus – wie beispielsweise
Überforderung, Spezialinteresse, Metaphern – und die Aufforderung, die eigene Besonderheit mithilfe eines Tieres
herauszufinden: „Wärst du eine mutige Maus? Ein eleganter Elefant? Oder vielleicht ein lustiger Löwe?“ (S. 70)
Die Geschichte „Falscher Planet“ ist geeignet, um bei Kindern mehr Verständnis für Wesen (Menschen), die anders
sind, zu erzeugen. Sie erklärt einfallsreich, wie sich autistische Menschen in bestimmten Situationen fühlen. Dies wird
durch witzige Illustrationen unterstützt. Beim Lesen der Geschichte sollte besonders bei jüngeren Kindern ein
Erwachsener, der sich mit Autismus auskennt, anwesend sein, um die Fragen der Kinder sofort beantworten zu
können und um den Bezug zu dem autistischen Kind, welches die Lektüre des Buches ausgelöst hat, herzustellen.
Ich finde, dass sich dieses Buch auch für Geschwisterkinder eignet, und werde es deshalb meiner Liste mit hilfreichen
Materialien für Geschwisterkinder hinzufügen.