Heute ist Halloween
© Inez Maus 2014–2024
Halloween ist wie Weihnachten, Ostern, Geburtstage … ein Fest, welches für autistische Menschen sensorische und
soziale Herausforderungen mit sich bringen kann. Das bedeutet in der Regel aber nicht, dass autistische Menschen,
insbesondere Kinder, solche Feste nicht feiern möchten. Das bedeutet, dass betreuende Personen oder autistische
Menschen selbst nach Möglichkeiten suchen müssen, um solche Feste so zu gestalten, dass auch die autistischen
Gäste einen gelungenen Tag erleben können.
Für das Weihnachtsfest, das schon vor der sprichwörtlichen Tür steht, habe ich in einem Artikel bereits Hinweise zur
Gestaltung mit autistischen Kindern gegeben. Zuvor ist aber erst einmal Halloween.
Halloween ist ein Fest, welches ursprünglich in den katholischen Gebieten Irlands gefeiert wurde und von
Auswanderern nach Kanada und in die USA gebracht wurde. Dort avancierte Halloween zu einem Volksfest, bei dem
es mehr um den Spaß als um das eigentliche Anliegen, nämlich das Abschrecken böser Geister, die in dieser Nacht
umherirren, ging. Seit den 1990er-Jahren hat der Brauch, Halloween zu feiern, nach Europa zurückgefunden.
Für eine Halloweenfeier mit einem autistischen Kind ist gute Planung wichtig. Dem autistischen Kind kommt es
zugute, wenn es weiß, was an diesem Abend passieren wird. Wenn es ein Kostüm tragen möchte, dann sollte diese
Verkleidung nicht nur den Vorlieben des Kindes entsprechen, sondern auch der speziellen Sensorik Rechnung tragen.
Autistische Kinder bevorzugen meist Bekleidung aus weicher Baumwolle, aber die meisten Kostüme bestehen aus
Kunstfasern. So kann es notwendig sein, an das Besorgen des Kostüms rechtzeitig zu denken, da es nicht beim
Wochenendeinkauf im heimischen Supermarkt erworben werden kann.
Zu den wichtigsten Bräuchen an Halloween gehört neben dem Verkleiden das Ziehen von Tür zu Tür mit dem Slogan
„Süßes oder Saures“ („Trick or treat“), um Süßigkeiten zu erhalten oder – im Falle der Weigerung – der
entsprechenden Person einen Streich zu spielen. Auch wenn die Verkleidung eine Art Schutz darstellt – denn man
wird nicht erkannt –, bedeutet diese Aktivität für autistische Kinder meist Stress und keinen Spaß, denn es ist eine
komplexe soziale Aktivität mit nahezu komplett ungeschriebenen Regeln. Möchte das autistische Kind an dieser
Süßigkeitentour trotzdem teilnehmen, dann besteht beispielsweise die Möglichkeit, das Kind vertraute Nachbarn
aufsuchen zu lassen, wobei vorher mit diesen Personen das Prozedere abgesprochen wird.
Ansonsten ist eine Halloweenfeier aber auch im Rahmen der Familie oder mit wenigen eingeladenen Kindern möglich,
ohne das Haus dazu verlassen zu müssen. Die typische Halloween-Dekoration darf nicht fehlen, aber sollte auch
nicht so üppig ausfallen, dass eine Reizüberflutung des autistischen Kindes vorprogrammiert ist. Verkleidete Kinder
können ebenso im vertrauten Umfeld Erwachsene oder jugendliche Geschwister erschrecken, um dafür dann
Süßigkeiten zu erhalten. Häufig werden autistische Kinder nachfragen, warum man das alles an diesem Tag tut. Eltern
sollten sich also auch auf die Beantwortung solcher Fragen vorbereiten.
Neben dem Dekorieren, dem Verkleiden, dem Erhaschen von Süßigkeiten sowie deren teilweisen Verzehr kann eine
Halloweenparty auch mit diversen Spielen, die auf die Besonderheiten des autistischen Kindes abgestimmt werden,
angereichert werden. Eine Halloween-Party bei uns, die kurz nach der Einschulung meines autistischen Sohnes
Benjamin gefeiert wurde, sah beispielsweise folgendermaßen aus:
Für unsere Halloween-Feier bastelte ich mit den Kindern Geister aus Styroporkugeln und alten Stoffwindeln, welche
wir dann mit nachleuchtenden Stickern und Farben dekorierten, sodass sie das Dunkel ein wenig erhellten, nachdem
sie zuvor einer Lichtquelle ausgesetzt worden waren. Am Abend von Halloween versteckte ich die aufgeladenen
Gespenster in der Wohnung, gab jedem Kind eine Kürbistaschenlampe und ließ sie die Geister in der sonst völlig
dunklen Wohnung suchen. Erstaunlicherweise protestierte Benjamin dieses Mal nicht, als auch das letzte Licht im Flur
gelöscht wurde, und machte sich wie seine Brüder, allerdings sehr viel vorsichtiger und mit einer schaurig schönen
Erregung, eifrig auf die Suche nach seiner Spukgestalt. Was für die Kinder Spaß bedeutete, betrachtete ich immer
auch als Therapie und Training für Benjamin und so freute es mich außerordentlich, dass unser mittlerer Sohn an
jenem Abend nicht genug von dieser Aktivität bekommen konnte. Seine Brüder spielten willig mit, denn je länger ihr
Mitstreiter nicht die Lust verlor, desto länger durften sie aufbleiben. Aber sie veränderten mit jeder neuen Runde die
Spielregeln, sodass einmal ein Kind alle Geister allein suchen musste oder jeder das Gespenst eines anderen
aufspüren sollte. Später praktizierte ich dieses Spiel im Dunkeln in allen möglichen Varianten. Ich klebte
nachleuchtende Insekten an die Türen und forderte die Kinder auf, im dunklen Zimmer mit weichen
Schaumstoffbällen, welche in einem von einer Taschenlampe beleuchteten Körbchen lagen, die Tiere zu treffen.
Weiterhinl gestalteten wir aus Fotokarton und Papierstreifen Spinnennetze und befestigten sie an Wänden und
Schränken. Dann verband ich den Kindern nacheinander die Augen, gab ihnen mit Klebefolie versehene
Plastikspinnen und ließ sie unter den Anweisungen ihrer Brüder auf ein Netz zulaufen, um die Spinnen darin zu
positionieren. Hinterher konnten sie so prima feststellen, wie gut sie sich ohne Sehen zu orientieren vermochten.*
Happy Halloween!
* Auszug aus „Anguckallergie und Assoziationskettenrasseln“, Maus, 2014, Engelsdorfer Verlag, S. 51 f.