 
 
  Buchvorstellung „Happiness Falls“
 
  
 
  © Inez Maus 2014–2025
 
 
 
 
 
 
   
   
 
 
  Das Buch „Happiness Falls“ aus dem Verlag hanserblau ist mir sprichwörtlich über den Weg gelaufen, als ich 
  Lesestoff für meinen Urlaub an der Ostsee gesucht habe. Um Gepäck zu sparen, habe ich nur E-Books 
  mitgenommen und dementsprechend bezieht sich meine Buchvorstellung auf diese Ausgabe des Buches.
  Der Roman „Happiness Falls“ handelt von Ereignissen in einer gegenwärtigen amerikanischen Familie, die – 
  bestehend aus den Eltern und drei Kindern – einige Besonderheiten aufweist:
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  Mutter und Vater haben vier Jahre zuvor die Rollen getauscht, sodass der Vater nun Hausmann ist.
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  Die älteren Kinder – Mia und John – sind Zwillinge, zwanzig Jahre alt.
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  Der sechs Jahre jüngere Junge ist behindert – er ist nonverbaler Autist und hat zusätzlich eine leichte Form des 
  Angelmann-Syndroms.
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  Die Mutter stammt aus Korea und ist als Jugendliche in die Staaten gekommen.
  Diese nicht typische amerikanische Familie wird eines Tages mit dem Verschwinden des Vaters und Ehemannes 
  konfrontiert. Erzählt werden die Ereignisse im Rückblick aus der Sicht von Mia. Als Leser weiß man nicht genau, ob 
  das Buch ein Thriller, ein Drama, eine Gesellschaftsstudie oder ein Krimi ist, aber das tut dem Lesegenuss keinen 
  Abbruch – wahrscheinlich ist es von allem ein bisschen.
  Apropos Lesegenuss: Genuss ist hier eigentlich nicht das passende Wort, den zumindest Familien, die ein ähnlich 
  behindertes Kind haben und die auch mit der dazugehörigen Geschwisterproblematik vertraut sind, werden das 
  Buch eher lesen, weil sie sich in Teilen mit ihren Problemen dort wiederfinden oder sogar Anregungen erhalten 
  können, zum Beispiel durch die teilweise kreativen Lösungen aus dem Alltag der Romanfamilie wie Zahnputzrituale.
  Aufgrund der Tatsache, dass Angie Kim ihre erfundene Familie in den Kontext vieler weiterer Probleme stellt, kann 
  von Lesegenuss ebenfalls nicht die Rede sein – eher von Spannung. All diese Problemfelder, die die Autorin 
  sukzessive anspricht, fügen sich nahtlos in die Geschichte ein und wirken nicht aufgesetzt nach dem Motto „Was 
  könnte denn noch Schlimmes passieren?“ Die wichtigsten dieser Problemfelder sind Folgende:
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  Die Haupthandlung ereignet sich in den ersten Monaten der Pandemie – mit allem, was dazugehört wie Angst vor 
  Ansteckung, das Tragen von Masken, Testflicht, Homeoffice …
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  Die unterschiedlichen ethnischen Zugehörigkeiten der Familienmitglieder bescheren diesen immer wieder 
  seltsame und unschöne Erlebnisse – sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.
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  Da der autistische Sohn beim Verschwinden des Vaters in einen Autounfall verwickelt wird, stellt sich rasch die 
  Frage, ob die Aufsichtspflicht vernachlässigt wurde – also ob der Junge in Obhut genommen werden muss. Eine 
  Angst, die viele Familien mit behinderten Kindern kennen. Noch schwieriger wird die Situation durch die 
  drohende Inhaftierung des behinderten Kindes.
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  Ein sehr zentrales Thema des Romans sind die ambivalenten Gefühle der älteren beiden Geschwister – ihr 
  Schwanken zwischen Liebe und Verständnis auf der einen Seite und Wut, Verzweiflung, Hass sowie daraus 
  resultierend Scham auf der anderen Seite.
  Diesen Aspekt des Romans empfand ich besonders lebendig, weil ich an vielen Stellen plötzlich das Gefühl hatte, 
  nicht einen Roman zu lesen, sondern in einem meiner Geschwisterabende (Kurse für Geschwister von autistischen 
  Kindern, organisiert vom Bundesverband autismus Deutschland e. V.) zu sein und den Geschwisterkindern 
  zuzuhören. Die Ambivalenz der Gefühle von Geschwisterkindern zeigt sich bereits am Beginn des Buches, als die 
  Protagonistin Mia nicht bemerkt, dass ihr Vater nicht wie erwartet um die Mittagszeit nach Hause gekommen ist. Sie 
  bemerkt es nicht, weil sie den Paketboten, der den Kiesweg entlanggeht, für den heimkehrenden Vater hält, der sie 
  gemäß ihrer aus früheren Erlebnissen gespeisten Erwartung nicht beachtet, sondern sich um den autistischen Sohn 
  kümmert, obwohl der Vater doch zu den Menschen gehört, die „mich eigentlich lieben sollten“. Weil sie sich in ihrer 
  „selbstgerechten Empörung“ suhlt, verzögert sich der Beginn der Suche nach dem vermissten Vater um Stunden. 
  Später quälen sie Schuldgefühle.
  An anderer Stelle erfährt der Leser, dass die Zwillinge – in Anbetracht einer einige Jahre zuvor drohenden Scheidung 
  der Eltern – sofort Pläne zum Babysitten des autistischen Bruders und zum Schenken von Gutscheinen für 
  romantische Aktionen der Eltern schmiedeten, weil sie auf keinen Fall wollten, dass die Familie zerbricht – die 
  Familie mit dem autistischen Bruder!
  Ähnlich ambivalent wie die Geschwisterbeziehungen gestalten sich im Verlauf der Handlungen die Einstellung und 
  die Gedanken der Zwillinge – insbesondere die von Mia – in Bezug auf ihren verschwundenen Vater. Für sein 
  Verschwinden gibt es viele Möglichkeiten: Mord, Unfall, Entführung, freiwilliges Untertauchen … Ist der Vater ein 
  schlechter Vater, wenn er wirklich mit einer anderen Frau durchgebrannt sein sollte? Darf man ihn dafür hassen? 
  Oder entwickeln die Zwillinge, die selbst schon eigene Beziehungserfahrungen haben, in diesem Fall – wenn es die 
  Lösung des Rätsels sein sollte – Verständnis für den Vater?
  Die Beispiele verdeutlichen die Komplexität und Vielfältigkeit des Romans. Es ist sicherlich nicht die schnell zu 
  lesende, leichte Sommerlektüre, aber für Personen, die einen spannenden und tiefgründigen Roman mit viel Stoff 
  zum Nachdenken suchen, die empfehlenswerte Lektüre.
  Ein paar Wermutstropfen gibt es allerdings in der deutschen Fassung. Die Übersetzerin Wibke Kuhn und das 
  Lektorat des Verlags haben mit Halbgeviertstrichen äußerst gegeizt, sodass einige von Angie Kims verschachtelten 
  Sätzen erst beim zweiten Lesen ihren wahren Sinn preisgeben. Einige Phrasen sind unglücklich ins Deutsche 
  übersetzt und ergeben an einigen Stellen keinen Sinn. Und schlussendlich sind doch einige Rechtschreib- und 
  Grammatikfehler im Buch zu finden, die zum Ende hin zunehmen und den Lesefluss stören.
  Angie Kim verwendet in ihren Roman Fußnoten und lässt ihre Protagonistin Mia erklären, dass man diese überlesen 
  könne, wenn es einen nicht interessiert. Es erschließt sich mir als Leser allerdings nicht, nach welchem Prinzip 
  Begebenheiten im Text oder in den Fußnoten untergebracht wurden.
  Das Buch schließt mit „Anmerkungen der Autorin“. Hier erfährt man, dass die Autorin aus Korea stammt und als Kind 
  in die USA kam. Weiterhin erfährt man, dass sie drei Söhne hat und einer von ihnen an Colitis ulcerosa erkrankt ist – 
  sie ist somit persönlich mit den Problemen von Geschwisterkindern vertraut, was vielleicht dazu beigetragen hat, 
  dass ihre Beschreibungen der Geschwisterdynamiken auf mich so authentisch wirkten. Angie Kim unterrichtet zudem 
  eine „Gruppe von Buchstabierern“ in kreativem Schreiben, womit sie nonverbale Menschen mit verschiedenen 
  Behinderungen meint, die mithilfe von Buchstabentafeln kommunizieren. In den Anmerkungen finden sich ebenfalls 
  hilfreiche Links zum Angelmann-Syndrom, zu verschiedenen Methoden des Buchstabierens und zu Werken von 
  „Buchstabierern“. Links zum Thema Autismus finden sich dort nicht. Publikationen, die die Protagonisten im Roman 
  erwähnen, werden im Anhang ebenfalls benannt, was sicher für all diejenigen hilfreich ist, die noch tiefer in Themen 
  des Buches einsteigen möchten.  
 
  
 