Meine Gedanken über Corona
© Inez Maus 2014–2024
Dies ist ein Gastbeitrag meines autistischen Sohnes Benjamin.
Ich muss gestehen, wie vielen jungen Männern und Frauen ging mir ganz am Anfang der Pandemie der Gedanke
durch den Kopf: Scheint nicht so wild zu sein. Die Letalität liegt bei einem oder zwei Prozent und die Krankheit ist nur
für Ältere und Vorerkrankte gefährlich. Die gemeine Grippe ist ebenso gefährlich, wenn nicht sogar noch mehr.
Eine äußerst egozentrische Ansicht, die auch verachtenswert egoistisch wäre, wenn ich nicht rasch die
Kurzsichtigkeit dieser Ansicht nach etwas Reflektieren erkannt hätte. Natürlich sollte ich mir auch um das
Wohlergehen von Gruppen Sorgen machen, von denen ich nicht Teil bin. Vor allem, weil mein Handeln während
dieser Pandemie – wie das aller anderen – schwere Konsequenzen nach sich ziehen kann. Außerdem sollte man
auch nicht die Familienangehörigen und die Freunde vergessen, die unter der Erkrankung und den möglichen Tod
ihrer Geliebten mitleiden. Zu denen auch ich gehöre, denn ich habe Großeltern – und meine Eltern gehören zwar
nicht zu der gefährdeten Altersgruppe, doch sie sind auch nicht mehr die Jüngsten.
Kurz gesagt: All die Maßnahmen und Anweisungen, die wegen der Corona-Krise das öffentliche Leben einschränken,
sind meiner Ansicht nach vollkommen gerechtfertigt. Tatsächlich zeigen mir die Infektions- und Todeszahlen zudem
auch, dass all die Warnungen, die in den Jahren zuvor wegen der Vogelgrippe, der Schweinegrippe und Ebola
ausgesprochen wurden, gerechtfertigt waren.
Doch wie genau wirkt es sich auf mein Leben aus? Nun, ich bin sehr introvertiert, weshalb man meinen könnte, dass
für mich alles beim Alten geblieben ist. Und vielleicht könnte man dies etwas eingeschränkt so sagen, wenn das
Ganze ein paar Monate früher begonnen hätte. Doch nun beginnt das nächste Semester meines Master-Studiums
der Philosophie, welches aufgrund der Lage erst einmal zuhause in den eigenen vier Wänden stattfinden wird. Das
bedeutet, dass ich nicht für Seminare in die Uni gehen werde, zumindest nicht in den ersten Wochen. Das hat mich
tatsächlich härter getroffen, als ich es erwartet hätte. Erst jetzt ist mir bewusst geworden, wie sehr ich es genieße, mit
den anderen Studenten und den Dozenten Diskussionen über die philosophischen Themen zu führen. Die
Vorstellung, nun allein zuhause über den Texten zu brüten und meinen Dozenten meine Gedanken als schnöde E-
Mail zu schicken, höhlt mich innerlich aus. Ich hoffe, dass Videokonferenzen zumindest einen kleinen Ersatz dafür
bieten.
Die Kontaktbeschränkung zeigt auf, dass wir modernen Menschen wohl nicht so distanziert zueinander sind, wie so
mancher uns glauben lassen will. Gerade der jüngeren Generation, zu der ich mich zählen möchte, wurde ja oft
vorgeworfen, dass sie nur an den Bildschirmen klebt und anstatt „echte“ nur „Internet“-Freunde hätte. Soweit ich aber
sehen kann, leidet im Moment jeder am Corona-Blues, ganz gleich ob jung oder alt.
Zum Weiterlesen:
Wahrnehmung in Krisenzeiten