Anguckallergie

Inez Maus
Blogbeitrag 14. Dezember 2025
Der Streit um den heiligen Baum (2/3)
© Inez Maus 2014–2025
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Dies ist der zweite Teil eines Gastbeitrages meines Sohnes Benjamin. hier geht es zum ersten Teil Dies erstickte den Streit, doch Meisterin Krummohr sollte in den nächsten Wochen, während draußen auf der Straße sich der grünleuchtende Schnee ansammelte, drinnen in ihrer Werkstatt die Glut nachglühen sehen. Zwar gingen ihr Lehrling und ihr Geselle weiterhin gewissenhaft ihrer Arbeit nach, doch der Umgang zwischen den beiden war eindeutig abgekühlt, auf das Notwendigste reduziert. Dies ließ die Seele der graufelligen Hasenfrau frösteln, denn die beiden hatten sich gut verstanden, seit sie im Sommer bei ihr angefangen hatten. Sie ergänzten sich gegenseitig: Der aus dem benachbarten Gotland angereiste Ferdinand hatte nicht gezögert, seine Wanderjahre auch damit zu frönen, indem er den jüngeren Gaston an seinem Gesellenwissen teilhaben ließ. Der Lehrling dafür hatte dem Älteren, der aus einem Bergstädtchen stammte, beim Zurechtfinden in der großen Stadt geholfen. Eine wunderbare Freundschaft schien zu gedeihen und es wäre zu schade, wenn diese wegen eines dummen Streites verwelken würde. Nur noch eine Woche verblieb der frostigen Nacht, um noch tiefer in den Tag zu kriechen, bevor die Wintersonnenwende sie nach und nach zurückdrängen würde. Aber auch wenn die Sonne selbst sich noch zurückhielt, an diesem Abend hielten Lichter und Gelächter die Finsternis in Schach. Denn mit dem Fest so nahe wurde der Julmarkt reichlich besucht. Väter und Mütter wurden von aufgeregten und eifrig Bratäpfel und Lebkuchen mampfenden Kindern zwischen den vielen Ständen und Zelten umhergezogen, während eng aneinander gekuschelte Pärchen mit dampfendem Glühweintassen in den Händen verträumt den geschmückten Julbaum hochblickten, bis zu seiner Spitze, wo in Gestalt eines gläsernen Radkreuzes die kommende Sonne thronte. Blicken tat auch Ferdinand zu dem leuchtenden Tannenbaum. Oft hatte er dies seit dem Streit getan und er hatte dabei finster und vergrämt ausgesehen. Zumindest anfangs, doch dann hatte Gaston immer mehr den Eindruck bekommen, dass der Geselle eher nachdenklich wirkte. Auch an diesem Abend haftete sein Blick schwer an den Zweigen der Tanne, als der Lehrling zögerlich neben ihn an das Fenster trat: „Ferdinand, ich muss mich bei dir entschuldigen.“ Der Geselle ließ nicht vom Julbaum ab, als er fragte: „Wegen unseres Streits vor ein paar Wochen?“ „Genau wegen dem“, bestätigte Gaston. „Ich habe nachgelesen. Was du sagtest, stimmt. Der Julbaum … ist wahrhaftig eine Abkupferung des Weihnachtsbaumes. Es tut mir leid, dass ich dich einen Lügner geschimpft habe.“ „Und mir tut es leid, dass ich deine Vorfahren Räuber nannte“, erwiderte Ferdinand und richtete nun ein schwermütiges Lächeln an den Lehrling. „Und den Julbaum eine Abkupferung ...“ „Aber … das entspricht doch der Wahrheit?“, stammelte Gaston verwundert Worte, die ihm schwerfielen. Anstatt gleich eine Erklärung zu geben, schritt Ferdinand vom Fenster weg und fragte ihre Lehrmeisterin, die gerade aus Drähten das Skelett einer neuen Wasserpuppe zusammenfeuchtete: „Frau Krummohr, ginge es in Ordnung, wenn ich und Gaston heute etwas früher Schluss machen, um den Julmarkt zu besuchen?“ Wenig später folgte ein verdutzter Gaston Ferdinand zwischen den Ständen und sollte noch immer keine Antwort bekommen, denn der Geselle deutete stattdessen auf einen bestimmten Stand: „Komm, lass mich dir einen Glühwein spendieren.“ Trotz seiner Verwirrung sagte Gaston dazu nicht Nein und schon standen sie in einer kleinen Schlange vor einem Stand an, der „Erkälteter Dionysos“ verkaufte. Ein Glühwein, dessen Rotwein in dem warmen Hellenischen Großreich gereift war, der anschließend nach Wendel importiert wurde, um hier nach örtlicher Art mit Kräutern verfeinert zu werden. „Ah, er schmeckt genau wie zuhause“, verkündete Ferdinand, nachdem der erste Schluck seine Mundhöhle erwärmte. „Den trinken wir in der Familie immer zu Weihnachten. Mein Vater bestellt ihn ausschließlich dafür jedes Jahr, ganz gleich, wie schief uns dafür die Nachbarn angucken.“ „Warum sollten sie das wegen Glühwein tun?“, konnte Gaston nicht ganz folgen, worauf ihn der Geselle beim weiteren Schlendern erzählte: „Nun, ich komme aus einem kleinen Städtchen in den Bergen des Erzdrachen, wo überwiegend Christen leben. Meine gesamte Kindheit war damit im Winter von dem Weihnachtsfest geprägt, wenn wir den Geburtstag des Messias feiern.“ Der Blick Ferdinands wurde selig. „Es kam immer die gesamte Familie zusammen. Nicht nur meine Eltern und Geschwister und die Großeltern, sondern auch die Onkel und Tanten, sowie meine vielen Vettern und Basen.“ Die Seligkeit lichtete sich. „Doch dieses Jahr werde ich nicht mit ihnen gemeinsam vor dem Weihnachtsbaum sitzen.“ „Warum bist du dann aber nicht nach Hause gefahren?“, wunderte sich Gaston, worauf der Ferdinand stehen blieb: „Weil ich doch auf meiner Gesellenreise bin. Mit Absicht kam ich im Sommer hierher, damit ich im Winter von der Kunst – und nicht nur die von den Wasserpuppen – lernen kann, die in Vitrotis zum Fest ihre volle Pracht entfaltet.“ Er deutete auf einen nahen Stand, der kleine Porzellanfigürchen verkaufte. „Auch wenn ich wusste, dass ich viel Heidnisches sehen würde, so freute ich mich auch, etwas anderes zu sehen, was ich nicht aus meiner kleinen Heimat kenne. Doch als endlich der Herbst endete und die festliche Zeit begann … wirkte vieles so vertraut, aber auf eine falsche Art und Weise.“ „Etwa weil da ein Weihnachtsbaum steht …“, deutete Gaston hin zur geschmückten Tanne, „…, der aber ein Julbaum genannt wird?“ „Ja, aber nicht nur deswegen“, nickte Ferdinand. „Wir hingen zuhause überall kleine Engelsfigürchen auf, …“ Sie kamen an einem Stand vorbei, von dessen Dächlein im kalten Winterwind niedliche Figürchen in Form von Rüstungen tragenden Mädchen tanzten. „… hier schweben aber hingegen Walküren und Harpyien. Anstatt des Sterns von Bethlehem glitzern mir überall Radkreuze entgegen. Und anstatt des heiligen Nikolaus …“ Ferdinand blieb vor einem Stand stehen, der Lebkuchen verkaufte, die allesamt mit einer das Antlitz Thors tragenden Oblate verziert waren. Wobei, wenn man genau hinsah, konnte man hinter ihm auch den Loki erkennen. „… bringt Thor die Geschenke“, beendete er seinen Satz. Schluss folgt am nächsten Advent Bis dahin zum Weiterlesen: In der Adventszeit 2021 wurde die Geschichte von Freyas Gunst veröffentlicht. In der Adventszeit 2023 wurde die Weihnachtsgeschichte aus Mora veröffentlicht. Auf Benjamins Blog “Blogpost aus Mora“ finden Sie weitere Geschichten mit philosophischen Reflektionen über die Götterwelt.