Anguckallergie

Inez Maus
Blogbeitrag 21. Dezember 2025
Der Streit um den heiligen Baum (3/3)
© Inez Maus 2014–2025
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Dies ist der dritte Teil eines Gastbeitrages meines Sohnes Benjamin. hier geht es zum ersten Teil „Brauchst nicht betrübt sein, mein Junge“, sprach ihn plötzlich die Verkäuferin an. „Der Nikolaus kommt gleich wieder.“ „Wie meinen?“, fragte Ferdinand überrascht, worauf man ihm verriet: „Wir hatten gerade viele von diesen verkauft und mein Mann muss erst … ah, da kommt er schon.“ Flink schob dieser ein Blech voller Nikoläuse neben die Thors. Noch geschwinder waren Lehrling und Geselle anschließend zum Kauf zweier Lebkuchen überredet worden, sodass die beiden etwas ratlos diese in der einen und den Glühwein in der anderen Hand dastanden. „Ist das nicht auch etwas, was ihr Christen euch erdacht habt?“, blickte Gaston nachdenklich auf seinen mit dem Thor, bevor er zu Ferdinands mit den Nikolaus schielte. „Hatte sich doch irgendein König von euch ausgedacht. Deshalb nennt man doch diese eine Sorte Königlein.“ „Ja, und meine Eltern nutzten dies immer als Beispiel dafür, wie ihr Heiden angeblich unsere Traditionen und Bräuche stehlt und sie missbraucht“, meinte Ferdinand, ratlos sein Speis und Trank ansehend. „Dass wir das wahre Fest hätten, während ihr es verschandelt habt. Doch wie passen dann Lebkuchen und Glühwein herein? Die wird es doch wohl kaum zu Jesus‘ Zeiten in Jerusalem gegeben haben …“ „Nun, die dürften damals in der Wüste ihren Wein eher kühl genossen haben“, stimmte Gaston zu. Ferdinand richtete seinen Blick hoch zum Julbaum: „Mir dämmert es auch jetzt, dass ich nicht einmal weiß, warum überhaupt ein geschmückter Tannenbaum so wichtig für Weihnachten ist.“ „Oh, das kann ich dir sagen“, offenbarte Gaston. „Das hängt mit dem Paradiesspiel zusammen. Wo ihr Christen diese Geschichte mit dem Apfel nachspielt.“ „Du meinst Adam und Eva im Paradies?“ „Ich glaube, ja. Auf jeden Fall brauchte man einen Baum, der den Baum des Lebens spielte. Und da die Tanne der einzige ist, der im Winter noch grüne Nadeln trägt, nahm man sie. Und aus dieser Tanne wurde dann der Weihnachtsbaum.“ „Dann ist es also ein Brauch, der einer improvisierten Lösung entsprang“, begriff Ferdinand und Gaston ergänzte: „Und der von meinen Vorfahren gemaust wurde, weil er wohl so viel ausdrückt, was uns selbst bewegte. Denn ganz gleich, ob der Baum da nun der Baum des Lebens ist oder der Weltenbaum oder welcher Baum auch immer … ist er nicht für uns alle ein Licht in der winterlichen Dunkelheit, welches uns gemeinschaftliche Wärme verspricht?“ „Wonach wir uns alle im kalten Norden sehnen“, begriff Ferdinand. „Gleich welche Weltvorstellungen wir haben oder welche Götter wir verehren, … wir bibbern allesamt in den gleichen Breitengraden. Deshalb trinken wir warmen Glühwein und essen leckere Lebkuchen, die eine ganze Jahreszeit lang halten. Die perfekte Winternahrung.“ Sogleich biss er hinein, den Nikolaus köpfend. Gaston tat lächelnd das Gleiche mit seinem Thor, bevor er weiter überlegte: „Sind Bräuche nicht letztendlich eine Sprache, mit der wir gemeinschaftliche Gefühle ausdrücken?“ „Und wie Leihwörter übernehmen wir sie von anderen, wenn unsere Sprache allein noch nicht etwas ausdrücken kann“, überlegte Ferdinand, dann strahlte sein Lächeln hoch zum Julbaum. „Jetzt verstehe ich es. Was mich geplagt hatte. Ein Teil von mir dachte die ganze Zeit, dass dieser Baum gestohlen ist. Doch ein anderer von mir wollte einfach nur denken, dass er schön ist. Dass er mich an Zuhause erinnert. Und das tut er. Nicht, weil er gestohlen wurde, sondern weil er mit mir spricht. Mit uns allen.“ Ein nachdenklicher Moment. „Könnten wir etwas zurückgehen?“ Gaston sah kein Anlass zu einem Nein, wollte aber wissen, warum. Ferdinand erklärte es ihm, während sie zwischen den Ständen zurückschritten: „Meine Mutter erzählte mir immer, dass der Nikolaus eine Schnecke als Gehilfin hat.“ „Eine Schnecke?“, wiederholte Gaston überrascht. „Die sind doch aber so langsam.“ „Ja, deshalb musste die Weihnachtschnecke auch schon immer im Frühling mit den Planen anfangen, damit sie alle Geschenke rechtzeitig bringen konnte. Doch wenn ein Junge, wie ich zum Beispiel, unartig ist, bekommt sie Bauchschmerzen und kann nicht kriechen, sodass sie vielleicht zu spät kommt.“ „Ach, mein Vater erzählte etwas Ähnliches“, verriet Gaston. „Dass, wenn ich meine Erbsen nicht aufesse, auch Thors Widder mäkelig sein würden. Und dann könnten sie nicht den Schlitten mit den Geschenken ziehen.“ „Ein Brauch, der mich als Kind das Grausen lehrte“, lachte Ferdinand. „Doch nun will ich ihn nicht missen. Vorhin sah ich ein Figürchen, welches mich daran erinnert, doch ich entschied mich gegen einen Kauf.“ „Ah, wegen den Hörnern“, begriff Gaston, denn der Stand mit den Figürchen kam in Sicht. Zuvor hatte der Lehrling den ganzen Tierfigürchen nicht viel Beachtung gewidmet. Nuh sah er aber, dass es sich um Hunde, Katzen, Schneespinnen, Hasen und andere Tiere handelte, die allesamt Widderhörner trugen. Sicher von der Mode inspiriert, bei der man Weggefährtentieren zur Festzeit Stoffhörner aufsetzte, sodass sie ein bisschen wie Thors Steinböcke anmuteten. Unter den Gehörnten befand sich auch eine kleine Schnecke, die sogleich von Ferdinand gekauft wurde und der sie nun in der Hand hielt und ihr über die Hörner strich: „Ja, ich dachte, dass wäre zu teuflisch. Doch wenn man darüber nachdenkt, macht es doch irgendwie Sinn, dass eine Schnecke, die trotz ihrer Langsamkeit fest entschlossen ist, die Geschenke rechtzeitig zu bringen, einen starken Kopf braucht.“ „Wer weiß? Vielleicht wird das ja ein fester Brauch in deiner Familie und unter Christen“, meinte Gaston. „Und dann werden meine Leute es mausen und in ein paar Jahren streitet man sich darüber, wem die gehörnte Schnecke gehört.“ „Und ein paar werden sich am Kopf kratzen und fragen, was zum Teufel sie überhaupt mit Weihnachten oder dem Julfest zu tun hat“, ergänzte Ferdinand, worauf die beiden herzlich lachten. Das Lachen lockte eine junge Frau an, die in ihren gut eingepackten Armen eine in Leinen gehüllte Puppe trug. „Ferdinand, Gaston! Schön euch hier zu sehen!“, erkannte Annika, die Puppenspielerin, die beiden wieder und kam auf sie zu. Hierbei verrutschte das Leinen, sodass der Kopf der Puppe sichtbar wurde: Es war eine Frau, die sowohl eine blaue Haube als auch einen Heiligenschein trug. „Hast du da etwa eine Maria in den Händen?“, fragte Ferdinand überrascht, worauf die Puppenspielerin warnend ihren Zeigefinger auf die Lippen legte: „Pst, leise. Du verrätst noch den Kindern die Überraschung.“ Hastig zog sie das Leinen wieder zurück. „Wir haben für unser Thorspiel dieses Jahr die Idee gehabt, dass er und Loki sich am Ende so sehr verfahren mit dem Schlitten, dass sie in Bethlehem landen, gerade wenn die Drei Könige das Christkind besuchen. Thor schenkt dem Kleinen dann einen Lebkuchen“, flüsterte sie rasch den beiden heimlich zu. „Wir haben gleich eine Vorstellung. Wollt ihr mitkommen?“ „Nur zu gern“, nahm Ferdinand an. „Solch ein Krippenspiel habe ich noch nicht gesehen. Das kann ich mir nicht entgehen lassen.“ Zum Weiterlesen: In der Adventszeit 2021 wurde die Geschichte von Freyas Gunst veröffentlicht. In der Adventszeit 2023 wurde die Weihnachtsgeschichte aus Mora veröffentlicht. Auf Benjamins Blog “Blogpost aus Mora“ finden Sie weitere Geschichten mit philosophischen Reflektionen über die Götterwelt.