Ein Bettlaken tut es auch …
Für Mathilde
© Inez Maus 2014–2024
Im Oktober verstarb eine Freundin von mir völlig unerwartet. Sie las regelmäßig meine Blogbeiträge, obwohl sie
eigentlich außer der Bekanntschaft mit meinem autistischen Sohn nichts mit diesem Thema zu tun hatte. Am liebsten
mochte sie die Artikel über amüsante oder auch haarsträubende Erlebnisse bei meinen Veranstaltungen:
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Ein liebenswerter Störenfried
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Ein ziemlich bestes unmoralisches Angebot
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Neue liebenswerte Störenfriede
Da der letzte derartige Bericht schon einige Zeit zurücklag, versprach ich meiner Freundin im Sommer, bald wieder ein
paar meiner Veranstaltungserlebnisse zu veröffentlichen.
In stillem Gedenken an sie erfülle ich jetzt dieses Versprechen.
Die räumlichen und technischen Gegebenheiten variieren bei meinen Veranstaltungen stark. Vortragsräume mit
entsprechender Technik sowie Material und fachkundigem Personal sind natürlich angenehm und lassen alle
Möglichkeiten der Gestaltung von Aktivitäten mit Teilnehmenden zu. In der Regel achten die Techniker (da ich erst
einer Frau in diesem Tätigkeitsfeld begegnet bin, bleibe ich hier bei der männlichen Form) sehr auf ihre Ausstattung
und lassen die referierenden Personen nichts davon anfassen. Es gibt aber auch das gegenteilige Verhalten, wie ich
vor Kurzem erleben durfte. Der entsprechende Techniker erklärte mir in Windeseile die Projektionstechnik sowie die
Regulation von Mikrofon, Beleuchtung und Verdunklung. Ich bekam dann zu diesem Zweck ein Tablet in die Hand
gedrückt, mit dem ich quasi alles in meiner Hand hatte. Bevor ich etwas fragen konnte, war er weg. Zum Glück waren
bei genauerem Hinschauen die Funktionen auf dem Tablet selbsterklärend.
Workshops, Seminare, Fortbildungen oder ähnliche Veranstaltungen bestreite ich gewöhnlich mit eigener Technik,
wenn diese bei Gastgebern, die fremde Räume wie beispielsweise Gaststätten nutzen oder die nicht über eine
entsprechende Ausstattung verfügen, stattfinden.
Zu solchen Gast- beziehungsweise Auftraggebern gehören seit den letzten zwei Jahren vermehrt Kitas. Der hohe
Bedarf an Autismus-Fortbildungen in Kitas zeigt, dass sich das Bewusstsein der Notwendigkeit einer gezielten
Förderung autistischer Kinder im Kleinkindalter (die meist noch keine Diagnose erhalten haben) entwickelt. Bisher
schien es tendenziell eher so zu sein, dass das Fortbildungsthema Autismus erst im schulischen Kontext relevant
wurde – und zwar häufig dann, wenn das autistische Kind beinahe schon in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen
war.
Im Gegensatz zu Schulen, die je nach Größe der gewünschten Veranstaltung über eine Turnhalle, entsprechend
große Klassenräume oder eine Aula und auch meist über Smartboard, Beamer und Tonanlage verfügen, haben Kitas
ihäufig solche Räumlichkeiten und Ausstattungen nicht. Es muss improvisiert werden und das bedeutet in der Regel,
dass die Fortbildung in einem Gruppenraum an einem Schließtag der Kita stattfindet. Für Beamer, Laptop und
Arbeitsmaterialien erhalte ich erfahrungsgemäß je einen Essenwagen. Ein Flipchart wird durch eine Kreidetafel
ersetzt und das so eingesparte Papier kommt sicher der Umwelt zugute. Als Projektionsfläche dient meist eine Wand,
von der vorher diverse Dinge in oft mühevoller Kleinarbeit abgenommen werden müssen. Manchmal ist aber auch das
nicht möglich und keine Wand bietet genug freie Fläche zum Projizieren. Dann tut es auch ein Bettlaken.
In der Regel sitzen die Teilnehmenden auf kleinen Stühlchen an entsprechend kleinen Tischen, weil Möbel für
Erwachsene nur in den Büroräumen und in nicht ausreichender Menge zu finden sind. Ein paar
Entspannungsübungen müssen dann dafür sorgen, dass die Teilnehmenden am Ende eines solchen Tages nicht
neben dem Wissen und neuen Erkenntnissen auch noch Rückenschmerzen mit nach Hause nehmen. Einmal erlebte
ich, dass die Kita über einen Turnraum verfügte, in dem die Fortbildung stattfinden sollte. Auch hier gab es nur
Essenwagen und kleine Stühle, aber es gab noch eine Menge Turnmatten, Sitzkissen und Ähnliches. Der Großteil der
Teilnehmenden machte es sich also auf irgendeine Art und Weise auf dem Boden bequem – Essen und Getränke
fehlten auch nicht – und ich hatte eher das Gefühl, man ist hier zusammengekommen, um gemütlich einen Film zu
schauen. Kurz überlegte ich, ob ich es mir auch auf dem Boden bequem machen sollte, dann wäre ich auf Augenhöhe
mit den Lernenden gewesen. Letztendlich haben aber auch die entspannt über den Boden verstreuten
Mitarbeitenden der Kita aktiv und interessiert an der Fortbildung teilgenommen.
Eine Fortbildung fand in einer Kita statt, die in einer umgebauten Erdgeschosswohnung ihren Sitz hatte. Im
Gruppenraum saßen an diesem Tag also nicht die Kinder, sondern die Erwachsenen. Offensichtlich hatte aber
niemand vorher bedacht, dass die Kita-Kinder an diesem Schließtag mit ihren Eltern an den Fenstern des
Gruppenraumes vorbeilaufen und die auf ihren Stühlchen sitzenden Erzieherinnen sehen könnten. So kam es am
Vormittag zu vielfältigen Unterbrechungen durch an die Scheiben klopfende Kinder. Zum Glück schienen all diese
Kinder irgendwann zu Hause Mittagsschlaf zu machen.
Für Studientage an Schulen wird gern das Thema Autismus gewählt. Studientage sind Tage, an denen kein Unterricht
stattfindet. Diese unterrichtsfreien Tage dienen einer bedarfsorientierten Fortbildung und werden intern durchgeführt,
wobei stets ein für die jeweilige Schule gerade aktuelles Thema angeboten werden sollte. Neben dem pädagogischen
Personal der Schule erlebe ich manchmal ungewöhnliche Teilnehmende, wie beispielsweise den Hausmeister einer
Schule. Da er mich in der Pause in ein Gespräch verwickelte, fragte ich ihn nach seinem Grund, diese Fortbildung zu
besuchen. Ich vermutete einen autistischen Menschen in seinem persönlichen Umfeld. Er antwortete mir: „Es gibt hier
einen kleinen Autisten, der flüchtet in der Pause immer zu mir in meine Werkstatt. Und da wollte ich doch mal wissen,
wie ich gut mit ihm umgehen kann.“